Wie versteckte Alkoholquellen den Alltag beeinflussen

Warum Erziehungsstelleneltern besonders aufmerksam sein sollten

Für viele Menschen ist Alkohol nur ein Getränk, das man aktiv konsumiert. Doch für Kinder und Jugendliche mit Fetalen Alkoholspektrumstörungen (FASD) kann Alkohol weit mehr bedeuten – und vor allem dort auftauchen, wo man ihn im Alltag nicht erwartet. In Erziehungsstellen ist es daher besonders wichtig, bewusst darauf zu achten, welche Produkte Alkohol enthalten und wie man im Alltag damit umgehen kann. Versteckter Alkohol in Lebensmitteln, Kosmetika und Pflegeprodukten stellt für Kinder mit FASD nicht nur gesundheitlich, sondern auch emotional eine besondere Herausforderung dar.

Was ist eine fetale Alkoholspektrumstörung (FASD)?

FASD ist eine hirnorganische Entwicklungsstörung als direkte Folge von Alkohol in der Schwangerschaft. Kinder mit FASD benötigen strukturierte, wiederholte und entlastende Begleitung, weil ihr Gehirn Informationen anders verarbeitet. FASD entsteht ausschließlich durch Alkoholkonsum während der Schwangerschaft, nicht durch Alkohol im späteren Umfeld des Kindes.

Warum Alkohol für Kinder mit FASD eine besondere Rolle spielt

Kinder mit FASD können sensibel auf Alkoholreize reagieren – sowohl körperlich als auch psychisch. Manche empfinden bestimmte Düfte oder Geschmäcker als unangenehm oder verwirrend. Ein leicht alkoholischer Geschmack, ein Geruch oder ein prickelndes Gefühl auf der Haut genügt manchmal, um Stress auszulösen oder unerwünschte Verhaltensmuster anzustoßen. Andere hingegen reagieren gar nicht darauf – die Wahrnehmung ist individuell sehr unterschiedlich.

FASD kann zudem die Einschätzung von Risiken beeinträchtigen, weshalb betroffene Kinder klare Orientierung, wiederholte Strukturen und eine verlässliche Begleitung benötigen. Intensive Gerüche -etwa von alkoholhaltigen Pflegeprodukten – können bei einzelnen Kinder Erinnerungen aus früheren Lebenssituationen wecken und emotional belasten.

Gleichzeitig unterstützen Schutz- und Resilienzfaktoren wie stabile Beziehungen, vorhersehbare Abläufe und einfache Erklärungen dabei, solche Reize besser einzuordnen und emotional sicher damit umzugehen. Der bewusste Umgang mit Alkohol im Alltag von Erziehungsstellen nimmt im Rahmen der Prävention vor allem durch Unterstützung, Struktur und verständliche Kommunikation eine wichtige Rolle ein.

Natürliche Alkoholbildung in Lebensmitteln: Wo kleine Mengen entstehen können

Nicht jeder Alkohol wird bewusst zugesetzt. In manchen Lebensmitteln bildet er sich auf natürliche Weise durch Gärungsprozesse. Dazu zählen reife Früchte wie Bananen oder Trauben, Fruchtsäfte, die länger geöffnet sind, kefirartige Getränke oder Kombucha. Auch Sauerteigbrot kann geringe Mengen enthalten und selbst in Aufbackbrötchen können geringe Mengen Alkohol enthalten sein.

Für viele Kinder sind diese Produkte unproblematisch, doch bei Kindern mit FASD ist es sinnvoll, sensibel zu beobachten: Reagieren sie auf bestimmte Gerüche oder Geschmäcker? Empfinden sie etwas als „komisch“, „prickelnd“ oder „wie etwas, was sie kennen“? Solche Reaktionen können Hinweise darauf geben, ob bestimmte Produkte besser gemieden werden sollten.

Bewusst zugesetzter Alkohol: Wo er in alltäglichen Lebensmitteln vorkommen kann

Wesentlich häufiger begegnet man Alkohol als Zutat in weit alltäglicheren Produkten. Viele Fertigsoßen – darunter typische Rotwein-, Weißwein- oder Biersoßen – enthalten relevante Mengen Alkohol. Auch Desserts wie Tiramisu, Rumkugeln oder bestimmte Pralinen werden häufig mit Likör oder Rum aromatisiert.

Eine besondere Rolle spielen Essige wie Balsamico oder Weinessig sowie Backzutaten wie Vanilleextrakte. Auch viele Marinaden, Grillsoßen und Fertiggerichte nutzen Alkohol sowohl als Geschmacksträger als auch als technologischen Hilfsstoff.

Dabei hält sich hartnäckig der Mythos, dass Alkohol beim Kochen vollständig verkocht. Zahlreiche Untersuchungen zeigen jedoch, dass selbst nach längerer Kochzeit meist ein Anteil von fünf bis vierzig Prozent erhalten bleibt. Für eine Erziehungsstelle, in der Kinder mit FASD leben, ist es deshalb empfehlenswert, gezielt alkoholfreie Alternativen zu verwenden.

Versteckte Begriffe auf Verpackungen – worauf man achten sollte

Alkohol wird nicht immer „Alkohol“ genannt. Häufig versteckt er sich hinter Begriffen wie Ethanol, Ethylalkohol, Extrakt oder Aroma. Besonders bei Aromen ist Vorsicht geboten: Viele natürliche und künstliche Aromen werden traditionell mit Alkohol extrahiert. Das muss auf dem Etikett nicht gesondert ausgewiesen sein.

Für Erziehungsstelleneltern bedeutet das: Zutatenlisten aufmerksam lesen, bei unklaren Begriffen lieber einmal nachschlagen oder auf Produkte mit klarer Kennzeichnung zurückgreifen.

Alkohol in Kosmetika und Pflegeprodukten – ein oft unterschätzter Einflussfaktor

Viele Erziehungsstellen achten beim Essen bereits sehr bewusst auf mögliche Alkoholquellen. Doch ein Bereich wird oft übersehen: Kosmetik und Pflegeprodukte.

In Parfüms, Deodorants, Haarsprays, Mundspülungen oder Aftershaves ist Alkohol fast immer enthalten. Häufig findet man ihn als „Alcohol denat.“ oder „Ethanol“. Auch viele medizinische Tinkturen – von Arnika bis Kampfer – sind alkoholhaltig.

Während Alkohol in diesen Produkten keine berauschende Wirkung hat, können Geruch und Gefühl dennoch belastend sein. Manche Kinder verbinden Alkoholgeruch mit traumatischen Erlebnissen. Andere reagieren mit Neugier oder Vertrautheit – ein Risiko, das man nicht unterschätzen sollte. Deshalb: Wissen, verstehen, einordnen und individuell begleiten, weil sensorische oder emotionale Reaktionen vorkommen können, auch wenn kein Rauschrisiko durch Lebensmittel oder Pflegeprodukte besteht.

Unbedenklich sind hingegen sogenannte Fettalkohole wie Cetyl Alcohol oder Stearyl Alcohol. Sie haben nichts mit Trinkalkohol zu tun und werden in Cremes und Lotionen als pflegende Bestandteile eingesetzt.

Wie Erziehungsstellen im Alltag sensibel und sicher mit dem Thema umgehen können

Ein bewusster Umgang beginnt im Supermarkt: Produkte sorgfältig lesen, möglichst alkoholfreie Alternativen wählen und gerade bei Soßen, Desserts oder Backzutaten sicherstellen, dass keine alkoholischen Bestandteile enthalten sind. Auch in der Pflege lohnt es sich, auf alkoholfreie Varianten zurückzugreifen – besonders bei Mundpflege, Deodorants und Haarstyling-Produkten.

Wichtig ist zudem die offene Kommunikation mit den Kindern. Viele von ihnen profitieren von einfachen, klaren Erklärungen: „Manchmal ist in Produkten Alkohol, ohne dass man ihn sieht. Wir passen hier gemeinsam darauf auf, damit dein Körper und dein Kopf geschützt bleiben.“ Außerhalb der Erziehungsstelle – etwa bei Restaurantbesuchen, Schulfesten oder Ausflügen – ist Nachfragen besonders wichtig. Viele Gerichte werden mit Wein oder Likör abgeschmeckt, ohne dass es in der Speisekarte steht.

Warum bewusster Umgang Sicherheit und Orientierung schafft

Kinder mit FASD brauchen eine stabile, klare und verlässliche Umgebung. Der sensible Umgang mit Alkohol in allen Alltagsbereichen trägt dazu bei, Trigger zu vermeiden, emotionale Sicherheit zu fördern und langfristig ein gesundes Verhältnis zu möglichen Suchtstoffen zu unterstützen.

Indem Erziehungsstellen bewusst auf versteckten Alkohol achten, schaffen sie nicht nur Schutzräume, sondern auch eine wichtige Grundlage für ein stabiles, suchtnachsorgendes Umfeld – etwas, das für die Lebenswege dieser Kinder von zentraler Bedeutung sein kann.

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