Unterschied Pflegefamilie Erziehungsstelle

Der Unterschied zwischen einer Pflegefamilie und einer Erziehungsstelle gemäß 33 SGB VIII – was Sie wissen sollten

In der Kinder- und Jugendhilfe spielen Pflegefamilien und Erziehungsstellen gemäß § 33 SGB VIII eine wichtige Rolle. Beide bieten Kindern und Jugendlichen ein Zuhause in einer Familie, die nicht ihre Herkunftsfamilie ist. Der Begriff Pflegefamilie wird im allgemeinen Sprachgebrauch oft als Synonym für jede Art der familiären Vollzeitpflege verwendet. Es gibt jedoch Unterschiede zwischen der Pflegefamilie und der Erziehungsstelle. Damit wollen wir uns in diesem Beitrag befassen.

Sozialgesetzbuch – Achtes Buch – Kinder und Jugendhilfe

Zu Beginn lohnt sich ein Blick in den Gesetzestext im achten Buch des Sozialgesetzbuchs, abgekürzt SGB VIII. Der Paragraf 33 schafft dort die Rahmenbedingungen für die Vollzeitpflege von Kindern und Jugendlichen in einer Familie, die nicht ihre Herkunftsfamilie ist. Der Satz 1 beschreibt die klassische Pflegefamilie, während der Satz 2 die Grundlage für unsere Erziehungsstellenfamilie ist.

33 SGB VIII

(Satz 1) Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege soll entsprechend dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes oder des Jugendlichen und seinen persönlichen Bindungen sowie den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie Kindern und Jugendlichen in einer anderen Familie eine zeitlich befristete Erziehungshilfe oder eine auf Dauer angelegte Lebensform bieten.

(Satz 2) Für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche sind geeignete Formen der Familienpflege zu schaffen und auszubauen.

1. Pflegefamilie (gemäß § 33 SGB VIII Satz 1):

Eine Pflegefamilie ist eine Familie, die ein Kind oder einen Jugendlichen, der aus verschiedenen Gründen nicht bei seinen leiblichen Eltern leben kann, in ihrem Zuhause aufnimmt. Pflegeeltern übernehmen die tägliche Verantwortung für das Kind und bieten ihm ein liebevolles und unterstützendes Umfeld. Sie sind für die Sicherheit, das Wohlergehen und die Entwicklung des Kindes verantwortlich. Die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in einer Pflegefamilie kann zeitlich befristet oder dauerhaft erfolgen. Die Pflegeeltern erhalten ein altersabhängiges Pflegegeld für das Kind. Ihr persönlicher Einsatz wird mit einem Erziehungsbeitrag honoriert. Es handelt sich aber um keine steuerpflichtige oder sozialversicherungspflichtige Tätigkeit.

Pflegefamilien können unterschiedliche Zusammensetzungen haben. Familien mit leiblichen Kindern, verheiratete und unverheiratete Paare, Alleinerziehende oder gleichgeschlechtliche Paare können eine Pflegefamilie werden. Sie werden vom örtlichen Jugendamt geprüft und unterstützt, um sicherzustellen, dass sie die Bedürfnisse des Kindes angemessen erfüllen können.

2. Erziehungsstelle (gemäß § 33 SGB VIII Satz 2):

Die Erziehungsstelle ist eine spezialisierte Form der Pflegefamilie, die auf die Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit besonderen Bedürfnissen ausgerichtet ist. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass diese Kinder Verhaltensauffälligkeiten, eine Behinderung (z.B. FASD-Fetales Alkoholsyndrom) oder andere Herausforderungen mitbringen, die eine intensivere pädagogische Unterstützung erfordern. Daher werden Erziehungsstellen fachlich von einem Jugendhilfeträger wie Context e.V. geschult, begleitet, beraten und unterstützt.

Eine pädagogische Ausbildung kann für die Erziehungsstelleneltern in ihrem Familienalltag hilfreich sein, aber ist nicht zwingend erforderlich. Genau wie bei der klassischen Pflegefamilie zählen vor allem die persönlichen Ressourcen und Stärken, die die Eltern mitbringen.

Erziehungsstelle und ihre Synonyme

Der Begriff „Erziehungsstelle“ ist nicht geschützt. In Nordrhein-Westfalen wird er hauptsächlich für die familiäre Vollzeitpflege von Kindern und Jugendlichen gemäß § 33 Satz 2 SGB VIII (die oben beschriebene spezialisierte Form der Pflegefamilie) verwendet. Aber auch die Bezeichnungen Fachpflegefamilie oder qualifizierte Pflegefamilie hört man hin und wieder. In Bayern spricht man in dem Zusammenhang oft von einer Sonderpflegestelle. Bei allen Synonymen handelt es sich um eine familiäre Vollzeitpflege.

Erziehungsstelle gemäß § 34 SGB VIII

Der Begriff Erziehungsstelle kann jedoch auch für eine stationäre Heimerziehung von Kindern und Jugendlichen gemäß § 34 SGB VIII verwendet werden. Dabei handelt es sich um eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit von ausgebildetem Fachpersonal. Nicht mit der Erziehungsstelle nach § 33 Satz 2 zu verwechseln, über die wir hier berichten.

Wer mehr über die Erziehungsstelle (Heimerziehung) gemäß § 34 SGB VIII erfahren möchte, findet im Artikel Erziehungsstelle SGB VIII (§ 33.2 versus § 34) (https://www.context-ev.de/magazin/erziehungsstelle-sgb-viii/ ) weitere Informationen.

Unterschied Pflegefamilie Erziehungsstelle

Unterschied Pflegefamilie Erziehungsstelle

Wichtige Gemeinsamkeiten von Pflegefamilien und Erziehungsstellen gemäß § 33 SGB VIII

Fassen wir zuerst einmal die bisherigen Gemeinsamkeiten der Pflegefamilie und der Erziehungsstelle gem. § 33 SGB VIII zusammen, bevor wir zu den Unterschieden kommen:

  1. Geregelt im § 33 SGB VIII.
  2. Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in einer Familie, die nicht ihre Herkunftsfamilie ist.
  3. Die Unterbringung kann kurzfristig oder auf Dauer angelegt sein.
  4. Eine pädagogische Ausbildung ist für Pflege- und Erziehungsstelleneltern nicht erforderlich.
  5. Zahlung eines Pflegegeldes und eines Erziehungsbeitrages.
  6. Keine steuerpflichtige- oder sozialversicherungspflichtige Tätigkeit.
  7. Familien, Paare und Alleinerziehende können ein Kind aufnehmen – unabhängig von Familienstand, Religion, Herkunft oder der sexuellen Orientierung
Unterschied Erziehungsstelle Pflegefamilie

Unterschied Erziehungsstelle Pflegefamilie

Wichtige Unterschiede von Pflegefamilien und Erziehungsstellen gem. § 33 SGB VIII

  1. Unterstützung durch einen Jugendhilfeträger:

Einer der wichtigsten Unterschiede zwischen einer Pflegefamilie und einer Erziehungsstelle liegt in der fachlichen Begleitung, die die aufnehmende Familie erhält. Während Pflegefamilien vom Jugendamt betreut werden, wird einer Erziehungsstellenfamilie durch das Jugendamt zusätzlich ein Träger zur Seite gestellt. Dieser berät die Familie fachlich, schult die Eltern regelmäßig zu relevanten Themen und arbeitet pädagogisch mit dem Kind.

Folgende Leistungen sollte ein Träger für die Erziehungsstellenfamilie erbringen:

  • Beratung der Familie in fachlichen Fragen
  • Fortbildungsangebote
  • Intervisionsangebote
  • Entlastungsangebote

Wie nun genau ein Träger diese Inhalte mit Leben füllt, ist unterschiedlich. Wir empfehlen allen Interessierten sich vorab ausführlich bei verschiedenen Trägern zu informieren, damit die Zusammenarbeit langfristig gelingen kann und so weitere Bindungsabbrüche für das Kind vermieden werden. Denn wer sich gut begleitet fühlt, kann besser mit den Herausforderungen umgehen, die mit der Aufnahme eines Kindes einhergehen können.

Wichtig ist hierbei auch, auf die Details zu achten, wie wir an dem Beispiel der Beratungsleistung zeigen möchten.

Fachberatung einer Erziehungsstelle

Viele Träger verwenden den Passus „Regelmäßige Fachberatung“. Hier lohnt es sich nachzufragen. Was bedeutet regelmäßig in diesem Kontext? Wo findet die Beratung statt? Mit wem findet die Beratung statt?

Bei uns, Context e.V., wird zum Beispiel jeder Erziehungsstellenfamilie eine persönliche Fachberatung zur Seite gestellt, die über ein abgeschlossenes Studium aus den Bereichen Soziale Arbeit, Pädagogik, Psychologie o. ä. verfügt. Die Begleitung unserer Familien erfolgt engmaschig. Familie und Fachberatung sehen sich mindestens einmal wöchentlich. Damit die Termine den Familienalltag nicht belasten, sucht die Fachberatung die Erziehungsstelle da auf, wo es für die Familie gerade angenehm ist, z.B. bei ihr zu Hause, während eines Spaziergangs oder auf dem Spielplatz. Auch eine Begleitung zu Terminen bei Ärzt:innen, Ergotherapeut:innen, Kita und Schule usw. ist eine realistische Vorgehensweise. Uns ist wichtig, dass die Familie sich nicht extra auf den Weg machen muss, sondern wir sie aufsuchen. So bleibt der Erziehungsstelle mehr Zeit für ihr Familienleben.

Zusätzlich arbeitet unsere Fachberatung mindestens einmal monatlich alleine mit dem Kind. Hinzukommen regelmäßige freizeitpädagogische und intensivpädagogische Maßnahmen – alleine oder in der Gruppe.

Sollte ein Kind Umgangskontakte mit seiner Herkunftsfamilie haben, werden auch diese von der vertrauten Fachberatung professionell begleitet. Sie organisiert die Treffen, steht im Austausch mit dem Kind, der Herkunftsfamilie und der Erziehungsstellenfamilie, holt das Kind zum Treffen ab, begleitet den Kontakt an einem neutralen Ort und bringt das Kind danach zurück zur Erziehungsstelle. Im Nachgang bespricht unsere Fachberatung den Besuchskontakt mit allen Beteiligten.

All das kann – muss aber nicht – hinter dem Passus „Regelmäßige Fachberatung“ stecken. Daher ist es für Menschen, die sich zum Thema Erziehungsstelle informieren wollen, wichtig, genau nachzufragen und den Rahmen, in dem der Träger arbeitet und den Umfang, in dem der Träger Angebote macht, zu verstehen. So kann man schon vorab schauen, ob Familie und Träger zusammenpassen, um diesen verantwortungsvollen Weg gemeinsam zu gehen.

Das Beispiel der Beratungsleistung lässt sich genauso auch auf alle anderen Leistungen übertragen, die der Träger im Auftrag des Jugendamtes erbringt.

Wer wissen möchte, wie Context e.V. seinen Auftrag versteht, wird hier fündig.

https://www.context-ev.de/leistungsangebot/vollzeitpflege/

  1. Höherer Erziehungsbeitrag für Erziehungsstellen

Pflege- und Erziehungsstelleneltern erhalten beide monatlich ein altersabhängiges Pflegegeld für ihr Kind, welches zur Deckung der Ausgaben des alltäglichen Lebens, wie Lebensmittel, Bekleidung, Taschengeld, Hobbys etc. dient. Das ist für beide Pflegeformen gleich.

Ihr persönlicher Einsatz und ihr Engagement als Pflege- und Erziehungsstelleneltern werden darüber hinaus durch das Jugendamt in Form eines monatlichen, steuerfreien Erziehungsbeitrages gewürdigt. Dabei erhält eine Erziehungsstellenfamilie aktuell den 3,35-fachen Satz einer Pflegefamilie, da man aufgrund der Biografie der Kinder von einem höheren Betreuungsaufwand ausgeht.

Beispiel: Im Jahr 2024 erhält eine Pflegefamilie in NRW einen monatlichen Erziehungsbeitrag in Höhe von 420,00 Euro. Eine Erziehungsstellenfamilie erhält hingegen einen Erziehungsbeitrag in Höhe von 1.407,00 Euro.

Kinder mit Rucksack

Natürlich gibt es Kinder mit einem höheren und Kinder mit einem niedrigeren Betreuungsaufwand. Wir glauben jedoch, dass eigentlich fast jedes Kind, das aus unterschiedlichen Gründen aus seiner Herkunftsfamilie herausgenommen wurde, seinen Rucksack an Erfahrungen mitbringt, der irgendwann aufgearbeitet werden will. Und das geht am besten mit professioneller Begleitung – zusätzlich zum liebevollen Erleben einer sicheren Familie.

Fazit

Insgesamt bieten sowohl Pflegefamilien als auch Erziehungsstellen eine wichtige Unterstützung für Kinder und Jugendliche, die nicht bei ihren leiblichen Eltern leben können. Die Wahl zwischen beiden obliegt dem Jugendamt und hängt von den individuellen Bedürfnissen eines Kindes ab sowie davon, welches Umfeld am besten geeignet sein kann, um ihm zu helfen, sich positiv zu entwickeln und ein erfülltes Leben zu führen.

 

Sie können sich vorstellen, auch eine Erziehungsstellenfamilie zu werden? Mehr über den Weg zur Erziehungsstelle erfahren Sie hier

Wer ein Pflege- bzw. Erziehungsstellenkind aufnehmen möchte, muss einige Voraussetzungen erfüllen. Wir erklären, welche Voraussetzungen das sind.

 

 

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